Same same but different

Kadiatou Diallo

Bis jetzt, aus hiesiger Warte, sieht das «neue Normal» aber verdammt vertraut aus. Oder doch nicht?

Obi verkündigt Wiedereröffnung und eine ganze Stadt begibt sich auf Pilgerreise und fordert ihr Recht ein endlich wieder zu kaufen. So ist das mit dem (sehn)süchtigen Habitus. Im Entzug geht alles soweit ganz gut und sobald man sich im gewohnten Umfeld wiederfindet, geht der alte Spass von vorne los.

Währenddessen, schon wieder fast vergessen, kämpft der Grossteil der Menschheit weiterhin ums Überleben, ums Atmen, an und unter der Armutsgrenze (wo ist die eigentlich genau?), wie schon vor «der Krise», aber vielleicht noch ein bisschen mehr. Und ja, das auch in Europa, USA und Genf.

Für kurze Zeit konnten wir – Mensch, Tier, Pflanze – mal wieder richtig durchatmen, Klima recovery im Zeitraffer, und das nur nach ein paar Wochen menschlicher Mobilitäts-Abstinenz. Ha. Wer kann da noch sagen, es geht nicht? Arundhati Roy zeigt auf ein Portal, durch das wir jetzt in eine neue Zeit gehen könnten – wenn wir wollten. Aber (was) wollen wir denn?

Neu war lange schon schwanger mit dem Versprechen nach «besser». Innovation. Fortschritt. Zukunft. Mehr. Am liebsten zum Schnäppchenpreis. Auf- und abgeben nur im Austausch für ein Upgrade. So ist das mit den Privilegien, oder? Aber da haben manche von uns ja auch ganz neue kennengelernt, zum Beispiel die Freiheit nicht müssen zu müssen. Ah, tiefer Atemzug.

Wenn plötzlich so viel wegfällt, sieht das Vertraute schon irgendwie anders aus. Da kommt diese unsichtbare Spezies und wirft blendendes Flutlicht auf unsere Leerstellen. COVIT als Katalysator macht sichtbar, was mit dem alten Normal schon lange nicht stimmt. «Plötzlich» (wieder) finden sich trotz «Schutzmassnahmen» maskierte Massen in den Strassen, entthronen rassistische Kolonialdenkmäler und erinnern daran «what matters», bitte nicht nur als ephemerer post-pandemischer Trend, sondern als verbindlicher Lebenstil. Noch selten wurde so viel von care gesprochen, von essential services. Care und service, da geht’s um andere, für andere. Beziehungen. Das sei essential. Wow.

OK, aber hier geht es uns ja um die Kunst. Wie passt die jetzt hier rein?
Auch sie – egal ob kommerziell oder «alternativ» – ist, wie alles andere, eingebunden in die Abhängigkeiten des Marktes und seiner Regeln (fördern, produzieren, vermitteln, erreichen, verkaufen usw.). Sie kann, muss sich vielleicht sogar, somit jetzt auch einer gewissen Zwangsreflexion unterziehen. Konkrete Impulsfragen haben die Black Artists and Cultural Workers in Switzerland kürzlich verteilt. Es geht also vielleicht nicht nur darum, wie in Zeiten des social distancing (sollte korrekterweise immer noch eigentlich physical distancing heissen, oder?) und im Hinblick auf die angekündigte COVIT-bedingte Wirtschaftskrise, die bekanntlich nie zuletzt die ohnehin schon knapperen Ressourcen im Kulturbereich abbaut, wie also unter diesen Umständen Kunst überhaupt stattfinden (überleben) kann.

Eine Antwort: Zur Not gibt’s Kunst im online-shop (für die, die es sich noch leisten können). Das digitale Datennetz zoomt, Verzeihung, boomt. #Grenze, #Greta, #f*privacy. Überall dabei, global vernetzt. Aber ohne Beine und nur von dort wo’s überhaupt Netz gibt! Kostenfaktor: sensorischer Sinnesentzug mit gleichzeitiger Überforderung. U.a. Frage: Gehören greifbare Kollaboration, Austausch, Zusammenarbeit und Verkörperung jetzt der Vergangenheit an? Kostenfaktor?

Vielleicht drehen wir das Bild mal um betrachten die Kunst weniger (ganz ohne geht wohl noch nicht) als Marktprodukt, und (wieder) mehr als ganz-gesellschaftliche Dienstleisterin, auch da wo es kein Netz gibt. Kunst als care. Kostenfaktor? Vielleicht strategische Verweigerung. Vielleicht individueller Verzicht. Vielleicht Geschichte überarbeiten. Vielleicht mehr mit und für andere. Vielleicht kreative Lösungen. Vielleicht Relevanz. Vielleicht ein Upgrade.

Textbeitrag für A Roland for an Oliver 2020